Architektur in der Schwebelage
Heinz Schütz
1.
Die Installation "Pit Stop" ist in einem doppelten Sinne architektonisch: Zum einen interagieren Pfahlers Einbauten mit der bestehenden Architektur, zum anderen tragen sie selbst architektonische Züge. Entscheidend dabei ist: Der architektonische Charakter der Installation changiert. Im Wechselspiel von vorgegebenem Ort und Installation, von Material und Konstruktion, Funktion und Funktionslosigkeit bringt Pfahler das Architektonische seiner Einbauten in eine Art Schwebelage. Die installierten Elemente fungieren als Architektur, gleichzeitig stellen sie diesen Status in Frage. Changierend weist die Installation über das Architektonische hinaus und wird zu einem Reflexionsmodell über das Verhältnis von materialen Oberflächen, Funktionen und Bedeutungen.
2.
"Pit Stop" reagiert auf die Architektur der in einer ehemaligen Lazarettbaracke unterge-brachten Galerie. Der Teil der Baracke, in dem sich die Galerie befindet, besteht im wesentlichen aus zwei Räumen: einem langen, niederen Flur und einem höheren glasüber-dachten Raum. In Relation zu dem engen fensterlosen Flur verhält sich der überdachte Oberlichtraum wie ein Außenraum zum Innenraum.
Mit zwei Installationselementen antwortet Pfahler auf die zwei Räume der Galerie. Dort, wo sich der Flur zum Oberlichtraum öffnet, installiert er ein Element an der Außenwand des Flures. - Diese Wand ist identisch mit der Innenwand des Oberlichtraumes, so daß je nach Standpunkt von einem Ein- oder Anbau gesprochen werden kann. - Das zweite Element plaziert Pfahler am Ende des Flures. Abgesehen davon, daß beim Flurelement Unterkonstruktion und Folienabdeckung fehlen, sind die beiden Elemente gleich.
3.
Zum Oberlichtraum: Die gitterförmige Deckenstrukutur des EinUndAnbaus läßt an eine Pergola denken. Zieht man die breiten Seitenteile in Betracht, gleicht die Installation einem Vordach, wie es etwa über den Auffahrtszonen von Hotels anzutreffen ist. Lenkt man den Blick auf die einzige Stütze des "Vordaches" und auf den abgerundeten Sockel, auf dem die Stütze steht, erinnert die gesamte Konstruktion an eine Tankstelle. Der gerundete Sockel für sich betrachtet ähnelt einer Verkehrsinsel. Pergola, Vordach, Tankstelle, Verkehrsinsel (?) derartige Architekturen finden sich in Außenräumen. So gesehen, kann das Installationselement als Reaktion auf den Quasi-Außenraum des Oberlichtraumes betrachten werden. Der Anbau läßt sich jedoch nicht eindeutig klassifizieren, ebensowenig wie sich klar entscheiden läßt, ob es sich um eine reale Architektur, ein Architekturmodell oder eine Architektursimulation handelt. Eine erkennbare Funktion kommt dem Anbau auf jeden Fall nicht zu. Was auf den ersten Blick funktional erscheinen mag, erweist sich bei näherem Hinsehen als zweckfrei. So sind etwa die in die Anbaudecke montierten Lampen ? (Ofen)Rohre mit Glühbirnen - eingeschaltet, obwohl durch das Oberlicht genügend Licht in den Raum fällt. Sie leuchten unter Pfahlers Dach, ohne den Raum bei Tag darunter tatsächlich zu beleuchten. Dasselbe gilt für die Konstruktion: Die tragende Funktion der Stütze wird durch die Tatsache, daß das Dach an Gurten aufgehängt ist, ad absurdum geführt. In Ermangelung einer Funktion wird die Stütze zum Simulakrum einer Stütze. Auch unter materialem Aspekt entpuppt sie sich als Simulakrum: Die Stütze ist wie ein Eisenträger geformt, de facto besteht sie, wie die gesamte Konstruktion, aus Pressspan. Die funktionale Irritation setzt sich also auf materialer Ebene fort. Das "arme" Material Pressspan wird gewöhnlich für Möbel, aber nicht für den Bau von Architekturen verwendet. Was die Größe der Konstruktion anbelangt, entspricht sie, der Materialverwendung zum Trotz, als Quasi-Vordach durchaus einer realen Architektur. Doch der Einbau ist nicht nur Architektur,sondern ihm eignet ein mimetischer Überhang. Wie ein Bild oder ein Modell weist die Konsturktion über sich hinaus und evoziert die erwähnten architektonischen Assoziationen. Verfolgt man dabei die Vorstellung "Verkehrsinsel", tritt hinter dem Imagiären wieder Reales zutage: Wie eine Verkehrsinsel leitet der Pfeilersockel die Bewegung der Besucher im Raum. Im Funktionalen berühren sich hier das Imagierte und das, was die Imagination auslöst. Dabei ist die Tatsache von besonderer Bedeutung, daß der Galeriebesucher dem Einbau nicht, wie etwa einem Bild gegenübersteht, sondern er selbst Teil einer Situation ist, die die eingebaute Architektur mit definiert: Der Einbau überdacht ihn, das Licht beleuchtet ihn, die "Insel" leitet ihn. Die Architektur bestimmt seinen Standort. Gleichzeitig wiederum, hängt die Defintion des Ein/Anbaus von der Imagination des Galeriebesuchers ab, so daß sich ein Wechselspiel zwischen imaginierter und realer Architektur ergibt. In diesem Wechselspiel beginnt sein eigener Standort zu changieren.
3.
Zum Flur: Am Ende des Flures installierte Pfahler das gleiche Element wie im Oberlichtraum. Im Unterschied zum Einbau im Oberlichtraum ragen hier die Querverbindungen des Dachgitters über die Seitenbegrenzungen hinaus. Es fehlt die Unterkonstruktion und anstatt über den Köpfen der Besucher zu schweben, ist die Konstruktion gleichsam abgestürzt und in der Enge des Gangraumes zwischen Boden, Wand und Decke eingeklemmt. Dabei wird die Konstruktion von den Gangbegrenzungen nicht nur gehalten, sondern auch geformt: Sie ragt vom Boden bis zur Decke diagonal in den Raum hinein, wobei drei ihrer Ecken aus dem neunzig Grad Winkel verschoben sind. Die Verschiebung ist möglich, da die Ecken mit Möbelscharnieren verbunden sind. Damit ist die Beweglichkeit bereits eingebaut. Sie ist vorgesehen, aber letztlich zwecklos. Im Flur hat das ganze Gebilde jede Art nicht nur architektonischer Zweckmäßigkeit eingebüßt. Was im Oberlichtraum noch als Dach identifiziert wurde, erscheint hier funktionslos und provoziert eine ästhetische Lesart. Der Betrachter neigt dazu, das Gebilde weniger als Architektur, denn als Skulptur zu interpretieren.
Was sich bereits im Oberlichtraum abzeichnete, wird, sieht man die beiden Elemente zusammen, noch deutlicher: Der Zusammenhang von Ort, Funktion und Material bestimmt die Bedeutung der Dinge. Pfahler produziert eine spezifische Konstellation dieser Faktoren, die die Identifaktion irritiert. Mit einem Gedankenmodell läßt sich das Gesagte illustrieren. - Es liegt nahe, da sich Pfahler in einer früheren Ausstellung mit Kisten und Kistenfragmente beschäftigte. - Nimmt man einen Karton und klappt ihn an vier Enden nach oben entsteht ein Kiste. Das Material ist vor und nach dem Klappen dasselbe und trotzdem bewirkt er minimale Eingriff eine Art von identifiaktorischem Quantensprung. Anstelle von Fläche entsteht nicht nur Raum, sondern auch eine funktionales Ding, eine Kiste. Pfahler lenkt die Aufmerksamkeit gleichsam auf den Akt des Hochklappens. Er führt in ein Grenzgegebiet, wo sich Material und Funktion aufeinanderzubewegen, wobei unklar bleibt wie und ob sie sich begegnen.
Heinz Schütz
1.
Die Installation "Pit Stop" ist in einem doppelten Sinne architektonisch: Zum einen interagieren Pfahlers Einbauten mit der bestehenden Architektur, zum anderen tragen sie selbst architektonische Züge. Entscheidend dabei ist: Der architektonische Charakter der Installation changiert. Im Wechselspiel von vorgegebenem Ort und Installation, von Material und Konstruktion, Funktion und Funktionslosigkeit bringt Pfahler das Architektonische seiner Einbauten in eine Art Schwebelage. Die installierten Elemente fungieren als Architektur, gleichzeitig stellen sie diesen Status in Frage. Changierend weist die Installation über das Architektonische hinaus und wird zu einem Reflexionsmodell über das Verhältnis von materialen Oberflächen, Funktionen und Bedeutungen.
2.
"Pit Stop" reagiert auf die Architektur der in einer ehemaligen Lazarettbaracke unterge-brachten Galerie. Der Teil der Baracke, in dem sich die Galerie befindet, besteht im wesentlichen aus zwei Räumen: einem langen, niederen Flur und einem höheren glasüber-dachten Raum. In Relation zu dem engen fensterlosen Flur verhält sich der überdachte Oberlichtraum wie ein Außenraum zum Innenraum.
Mit zwei Installationselementen antwortet Pfahler auf die zwei Räume der Galerie. Dort, wo sich der Flur zum Oberlichtraum öffnet, installiert er ein Element an der Außenwand des Flures. - Diese Wand ist identisch mit der Innenwand des Oberlichtraumes, so daß je nach Standpunkt von einem Ein- oder Anbau gesprochen werden kann. - Das zweite Element plaziert Pfahler am Ende des Flures. Abgesehen davon, daß beim Flurelement Unterkonstruktion und Folienabdeckung fehlen, sind die beiden Elemente gleich.
3.
Zum Oberlichtraum: Die gitterförmige Deckenstrukutur des EinUndAnbaus läßt an eine Pergola denken. Zieht man die breiten Seitenteile in Betracht, gleicht die Installation einem Vordach, wie es etwa über den Auffahrtszonen von Hotels anzutreffen ist. Lenkt man den Blick auf die einzige Stütze des "Vordaches" und auf den abgerundeten Sockel, auf dem die Stütze steht, erinnert die gesamte Konstruktion an eine Tankstelle. Der gerundete Sockel für sich betrachtet ähnelt einer Verkehrsinsel. Pergola, Vordach, Tankstelle, Verkehrsinsel (?) derartige Architekturen finden sich in Außenräumen. So gesehen, kann das Installationselement als Reaktion auf den Quasi-Außenraum des Oberlichtraumes betrachten werden. Der Anbau läßt sich jedoch nicht eindeutig klassifizieren, ebensowenig wie sich klar entscheiden läßt, ob es sich um eine reale Architektur, ein Architekturmodell oder eine Architektursimulation handelt. Eine erkennbare Funktion kommt dem Anbau auf jeden Fall nicht zu. Was auf den ersten Blick funktional erscheinen mag, erweist sich bei näherem Hinsehen als zweckfrei. So sind etwa die in die Anbaudecke montierten Lampen ? (Ofen)Rohre mit Glühbirnen - eingeschaltet, obwohl durch das Oberlicht genügend Licht in den Raum fällt. Sie leuchten unter Pfahlers Dach, ohne den Raum bei Tag darunter tatsächlich zu beleuchten. Dasselbe gilt für die Konstruktion: Die tragende Funktion der Stütze wird durch die Tatsache, daß das Dach an Gurten aufgehängt ist, ad absurdum geführt. In Ermangelung einer Funktion wird die Stütze zum Simulakrum einer Stütze. Auch unter materialem Aspekt entpuppt sie sich als Simulakrum: Die Stütze ist wie ein Eisenträger geformt, de facto besteht sie, wie die gesamte Konstruktion, aus Pressspan. Die funktionale Irritation setzt sich also auf materialer Ebene fort. Das "arme" Material Pressspan wird gewöhnlich für Möbel, aber nicht für den Bau von Architekturen verwendet. Was die Größe der Konstruktion anbelangt, entspricht sie, der Materialverwendung zum Trotz, als Quasi-Vordach durchaus einer realen Architektur. Doch der Einbau ist nicht nur Architektur,sondern ihm eignet ein mimetischer Überhang. Wie ein Bild oder ein Modell weist die Konsturktion über sich hinaus und evoziert die erwähnten architektonischen Assoziationen. Verfolgt man dabei die Vorstellung "Verkehrsinsel", tritt hinter dem Imagiären wieder Reales zutage: Wie eine Verkehrsinsel leitet der Pfeilersockel die Bewegung der Besucher im Raum. Im Funktionalen berühren sich hier das Imagierte und das, was die Imagination auslöst. Dabei ist die Tatsache von besonderer Bedeutung, daß der Galeriebesucher dem Einbau nicht, wie etwa einem Bild gegenübersteht, sondern er selbst Teil einer Situation ist, die die eingebaute Architektur mit definiert: Der Einbau überdacht ihn, das Licht beleuchtet ihn, die "Insel" leitet ihn. Die Architektur bestimmt seinen Standort. Gleichzeitig wiederum, hängt die Defintion des Ein/Anbaus von der Imagination des Galeriebesuchers ab, so daß sich ein Wechselspiel zwischen imaginierter und realer Architektur ergibt. In diesem Wechselspiel beginnt sein eigener Standort zu changieren.
3.
Zum Flur: Am Ende des Flures installierte Pfahler das gleiche Element wie im Oberlichtraum. Im Unterschied zum Einbau im Oberlichtraum ragen hier die Querverbindungen des Dachgitters über die Seitenbegrenzungen hinaus. Es fehlt die Unterkonstruktion und anstatt über den Köpfen der Besucher zu schweben, ist die Konstruktion gleichsam abgestürzt und in der Enge des Gangraumes zwischen Boden, Wand und Decke eingeklemmt. Dabei wird die Konstruktion von den Gangbegrenzungen nicht nur gehalten, sondern auch geformt: Sie ragt vom Boden bis zur Decke diagonal in den Raum hinein, wobei drei ihrer Ecken aus dem neunzig Grad Winkel verschoben sind. Die Verschiebung ist möglich, da die Ecken mit Möbelscharnieren verbunden sind. Damit ist die Beweglichkeit bereits eingebaut. Sie ist vorgesehen, aber letztlich zwecklos. Im Flur hat das ganze Gebilde jede Art nicht nur architektonischer Zweckmäßigkeit eingebüßt. Was im Oberlichtraum noch als Dach identifiziert wurde, erscheint hier funktionslos und provoziert eine ästhetische Lesart. Der Betrachter neigt dazu, das Gebilde weniger als Architektur, denn als Skulptur zu interpretieren.
Was sich bereits im Oberlichtraum abzeichnete, wird, sieht man die beiden Elemente zusammen, noch deutlicher: Der Zusammenhang von Ort, Funktion und Material bestimmt die Bedeutung der Dinge. Pfahler produziert eine spezifische Konstellation dieser Faktoren, die die Identifaktion irritiert. Mit einem Gedankenmodell läßt sich das Gesagte illustrieren. - Es liegt nahe, da sich Pfahler in einer früheren Ausstellung mit Kisten und Kistenfragmente beschäftigte. - Nimmt man einen Karton und klappt ihn an vier Enden nach oben entsteht ein Kiste. Das Material ist vor und nach dem Klappen dasselbe und trotzdem bewirkt er minimale Eingriff eine Art von identifiaktorischem Quantensprung. Anstelle von Fläche entsteht nicht nur Raum, sondern auch eine funktionales Ding, eine Kiste. Pfahler lenkt die Aufmerksamkeit gleichsam auf den Akt des Hochklappens. Er führt in ein Grenzgegebiet, wo sich Material und Funktion aufeinanderzubewegen, wobei unklar bleibt wie und ob sie sich begegnen.